Jugendreligionen

Jugendreligionen
I
Jugendreligionen,
 
1974 erstmalig verwendete Bezeichnung für eine in den USA schon seit 1950, in der Bundesrepublik Deutschland etwa seit Beginn der Siebzigerjahre entstandene Gruppe neuer religiöser Sondergemeinschaften v. a. junger Menschen.
 
Der Begriff Jugendreligionen ist heute umstritten, weil die unter diesem Begriff erfassten Gruppierungen nicht nur junge Leute als Zielgruppe haben und der Begriff darüber hinaus den Unterschieden der einzelnen religiösen Gruppierungen (Inhalte, Zielsetzung, Art und Weise der Mitgliederwerbung etc.) nicht gerecht wird.
 
Die Jugendreligionen entstammen dem Einfluss der »Blumenkinder«- und »Hippie«-Bewegung und werden auch als Jugendsekten bezeichnet, obwohl sie keine Sekten im klassischen Sinn (Abspaltungen von bestehenden Glaubensgemeinschaften) darstellen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Elemente verschiedener Weltreligionen entlehnen, mit philosophischen Leitsätzen zu einer »Rettungs«-Ideologie verknüpfen und diese als pragmatische Lebenshilfe, als »einzigen Heilsweg«, verkünden.
 
Die bekanntesten Gruppierungen sind die Vereinigungskirche (»Mun-Sekte«), die Kinder Gottes (auch »Familie der Liebe«), die Scientology-Organisation, die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, die Ananda-Marga-Bewegung, die Divine Light Mission, die Transzendentale Meditation sowie die Bhagwan-Bewegung (»Rajneeshismus«). Kennzeichnend für diese Gruppierungen sind die streng hierarchische und autoritäre Struktur, die bis zur völligen Ausbeutung der Mitglieder (einschließlich Bettelei und Prostitution) reicht, das Selbstverständnis als »gerettete Familie«, die internationalen Verzweigungen und die zum Teil skrupellosen Anwerbe- und Reklamemethoden.
 
Die Entstehung der Jugendreligionen muss im Zusammenhang mit einer Abkehr von tradierten gesellschaftlichen Institutionen wie Familie und Kirche sowie der Erprobung alternativer Lebensformen und dem Wunsch vieler junger Menschen nach Selbstfindung gesehen werden. In der Bundesrepublik Deutschland haben die im Gefolge der Zugehörigkeit zu Jugendreligionen beziehungsweise Jugendsekten aufgetretenen negativen Erfahrungen wie Aufgabe von Arbeitsstellen, Ausbildungsverhältnissen und sämtlichen privaten Eigentums, das Zerbrechen persönlicher Bindungen, psychische Veränderungen bis hin zu versuchten und vollendeten Selbsttötungen (bedingt durch die freiwillige »Seelenwäsche«) und Beschaffungskriminalität zugunsten der jeweiligen Gruppe starke Betroffenheit ausgelöst und die zuständigen Ministerien zu öffentlichen Warnungen vor den Jugendreligionen sowie zu Untersuchungen, Fachtagungen und aufklärenden Veröffentlichungen veranlasst. Darüber hinaus bieten Familien- und Erziehungsberatungsstellen, zum Teil in Zusammenarbeit mit der 1985 in München gegründeten Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus, eine Reihe von Hilfsmaßnahmen für betroffene Eltern oder ehemalige Jugendsektenmitglieder an (z. B. durch Selbsthilfegruppen, Psychotherapien oder positives »Deprogramming«).
II
Jugendreligionen,
 
in den 1970er-Jahren übliche Bezeichnung für religiös-weltanschauliche Gruppen und Bewegungen, die in den 60er-Jahren gegründet wurden und v. a. unter Jugendlichen großen Zulauf fanden (Children of God, Divine Light Mission, Hare-Krishna-Bewegung u. a.). Gemeinsame charakteristische Züge sind eine synkretistische Lehre (mit christlichen und v. a. Elemenenten östlicher Religionen), die Verehrung einer zentralen, zum Teil mit messianischem Anspruch auftretenden Führergestalt (Guru), eine autoritäre Organisationsstruktur mit zum Teil auch totalitären Zügen und eine rigoristische, auf dem Elitebewusstsein der Gemeinschaft beruhende Ethik und Lebensführung. (neue Religionen)

Universal-Lexikon. 2012.

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